Im Visier: Der Vektor - Achtzehntes Gespräch über Vektoren

A: Na wie sieht es aus mit der Abgeschlossenheit der Menge der monotonen Funktionen auf A; hast du ein Gegenbeispiel gefunden?

D: Mit etwas Überlegung war das gar nicht schwer. Ich habe dazu die auf ganz R definierten Funktionen f und g mit den Gleichungen f(x) = x3 und g(x) = -3x betrachtet; f ist ja isoton und g ist antiton, wie man an den Ableitungen f'(x) = 3x2 (>0) und g'(x) = -3 (<0) sieht.

A: Das ist zwar ein wenig mit Kanonen auf Spatzen geschossen, weil die Monotonieeigenschaften dieser Funktionen leicht ohne Analysis zu zeigen sind, wie du das sicher auch in der zehnten Klasse gelernt hast, aber es ist richtig. Und warum ist nun f+g nicht monoton?

D: Weil die Ableitung (f+g)'(x) = 3x2 - 3 = 3(x-1)(x+1) offensichtlich über dem Intervall ]-1;1[ negativ und z.B. über [2;3] positiv ist.

A: Und wie sieht es aus, wenn man nur die Menge der isotonen Funktionen auf R betrachtet; bildet diese Menge einen Vektorraum?

D: Nein, denn sie ist zwar abgeschlossen gegenüber der Addition, aber nicht gegenüber der Multiplikation mit reellen Zahlen, da die Funktion f aus dem eben genannten Beispiel isoton ist, nicht aber die Funktion (-1).f.

A: Damit war also der erste Griff zu einem vermeintlichen Untervektorraum ein Fehlgriff. Allerdings lässt der sich mit einer kleinen Modifikation korrigieren, wenn wir statt der Menge der monotonen Funktionen auf A die Menge der reellwertigen Funktionen mit Argumentmenge A betrachten, die sich als Summe einer isotonen und einer antitonen Funktion darstellen lassen. Denn diese Menge bildet einen Vektorraum.

D: Und zum Nachweis müssen wir wieder die lange Skala der Vektorraumaxiome abarbeiten, oh je.

A: Und dann zeigen wir, dass wir von Vektorräumen geradezu umzingelt sind: Die Menge der beschränkten Funktionen, die Menge der stetigen Funktionen, die Menge der differenzierbaren Funktionen, die Menge der integrierbaren Funktionen über dem festen Definitionsbereich A bilden ebenso Vektorräume wie die Menge konstanten Folgen, die Menge der Nullfolgen, die Menge der konvergenten Folgen , - oder etwa auch die Menge der Folgen (an), welche der Rekursionsgleichung an+2 = an+1 + an genügen.

D: Dann sind wir ja mit der Überprüfung der Vektorraumeigenschaften eine kleine Ewigkeit beschäftigt, artet das jetzt nicht in eine unangenehme Fleißarbeit aus?

A: Nicht unbedingt, abgesehen davon, dass eine Fleißarbeit ja nicht immer gleich unangenehm sein muss. Aber wenn wir bedenken, dass der Großteil der Vektorraumeigenschaften für die genannten Mengen schon erfüllt ist, bleibt gar nicht mehr so viel zu zeigen.

D: Und woher wissen wir, dass ein Großteil der Vektorraumeigenschaften z.B. für die Menge der stetigen Funktionen mit Definitionsbereich [-2;5] erfüllt ist?

A: Weil diese Funktionen alle Elemente von R[-2;5] sind. Daher wissen wir, dass Kommutativ-, Assoziativ- sowie die beiden Distributivgesetze gelten, und wir wissen, dass die Multiplikation von f mit 1 wieder f liefert.

D: Das ist gut. Du hast recht, aber das gilt doch für jede Teilmenge von R[-2;5] . Ist denn dann jede solche Teilmenge wieder ein eigener Vektorraum?

A: Wir haben doch gerade eben am Beispiel der monotonen Funktionen gesehen, dass dies nicht so ist. Für einige Vektorraumaxiome vererbt sich nämlich nicht die Erfülltheit des Axioms auf beliebige Teilmengen. Damit eine Teilmenge U von unserem Raum F wieder ein Vektorraum ist, muss z.B. noch gelten, dass die Addition von Elementen aus U und die Multiplikation von reellen Zahlen mit Elementen von U wieder Elemente von U liefert.

D: Aber gilt das für die von dir genannten Beispiele?

A: Nehmen wir zunächst die Addition:

D: An die einzelnen von dir genannten Regeln erinnere ich mich zwar noch, aber insgesamt war das jetzt doch ein wenig zu viel. Kommt jetzt noch einmal so viel für die Multiplikation mit reellen Zahlen?

A: Das wollte ich eigentlich dir überlassen; wenn du die Abgeschlossenheitsbegründungen zur Addition verstanden hast, wirst du die analogen Begründungen für die Multiplikation mit reellen Zahlen leicht selber zusammenstellen können.

D: Die von dir genannten Regeln über stetige, differenzierbare, integrierbare Funktionen habe ich noch im Kopf; auch die Regeln, die wir im Zusammenhang mit Folgen hergeleitet haben. Was ich im Moment nicht mehr weiß, ist der Zusammenhang zwischen der Beschränktheit der Summe zweier beschränkter Funktionen und der von dir als Begründung angegebenen Summenungleichung.

A: Die Summenungleichung besagt, dass für reelle Zahlen die Summe nie größer sein kann als die Summe der Beträge dieser Zahlen. Und wann heißen Funktionen f und g beschränkt?

D: Wenn es reelle Zahlen s und t gibt, so dass für alle x aus A die Ungleichungen |f(x)|<s und |g(x)|<t gelten.

A: Nach der Summenungleichung ist dann |(f+g)(x)| = |f(x)+g(x)| < |f(x)| + |g(x)| < s + t, also ist f+g beschränkt.

D: Jetzt erinnere mich an diesen Beweis; - den hatten wir im Zusammenhang mit beschränkten Folgen.

A: Das ist halt ein spezieller Fall, wo unsere allgemeiner gültige Abgeschlossenheitsbedingung erfüllt ist.

D: Aber damit haben wir doch jetzt noch nicht für die genannten Mengen alle Vektorraumeigenschaften überprüft.

A: Du meinst, weil noch die Abgeschlossenheit gegenüber der Multiplikation mit reellen Zahlen fehlt?

D: Das soll ich mir ja selber überlegen und betrachte das damit schon einmal als abgehakt, aber es fehlen ja auch noch die Nachweise zu den Axiomen (3.1) und (3.2) mit den Stichworten neutrales Element und Gegenvektor. Aber heute schwirrt mir der Kopf; lass uns ein anderes Mal weitermachen.

A: Gern. Dann werden wir uns beim nächsten Mal - nach Füllen einer kleinen Lücke - klarmachen, dass diese Vektorraumeigenschaften aufgrund der Abgeschlossenheit gegenüber den Vektorraumoperationen gewissermaßen automatisch erfüllt sind.

Ende des achtzehnten Gesprächs über Vektoren.