Im Visier: Der Vektor - Neunzehntes Gespräch über Vektoren

D: Kann es sein, dass du beim letzten Mal zu kompliziert gedacht hast, als du von einer kleinen Lücke gesprochen hast, die noch zu füllen ist? Ich habe mir nämlich überlegt, dass die Vektorraumeigenschaften (3.1) und (3.2) bei einer Teilmenge eines Vektorraums sofort aus der Abgeschlossenheit gegenüber Addition und Multiplikation mit reellen Zahlen folgen.

A: Nämlich wie?

D: Wenn ich zeigen soll, dass in einer gegenüber den Vektorraumoperationen abgeschlossenen Teilmenge T eines Vektorraums V die Axiome (3.1) und (3.2) erfüllt sind, nehme ich einfach ein beliebiges f aus V. Wie wir gezeigt haben, ist 0.f = o und (-1).f = -f, so dass aus der Abgeschlossenheit von T gegenüber "+" und ".(-1)" sofort folgt, dass o und zu jedem f aus T auch -f in T liegen.

A: Was hast du denn jetzt noch ungenannt vorausgesetzt?

D: Du meinst die Existenz von neutralem Element und Gegenvektor zu f? Die ist doch gesichert, da alles im Vektorraum V stattfindet.

A: Nein, ich meine: Woher nimmst du dein f zum Nachweis, dass o in T liegt?

D: Das ist ein beliebiges Element von T.

A: Also musst du doch noch voraussetzen, dass T Elemente enthält?

D: Na gut, formal könnte natürlich eine Teilmenge auch leer sein, aber wäre das nicht sinnlos?

A: Es kommt darauf an, dass das Kriterium richtig ist. Wenn ein Fall zwar abwegig erscheinen mag, aber nicht logisch ausgeschlossen ist, muss er auch berücksichtigt werden. Und die leere Menge ist dazu noch eine sehr wichtige Teilmenge, die immerhin außer (3.1) alle Vektorraumaxiome erfüllt.

D: Das stimmt doch gar nicht. Z.B. ist doch nicht 1.f = f, wenn es gar keinen solchen Vektor f gibt.

A: Ganz im Gegenteil, das gilt sogar für jeden Vektor f aus der leeren Menge. Oder gib mir ein Element f der leeren Menge an, für welchen das nicht gilt.

D: Ist das jetzt Mathematik oder Sophistik?

A: Das ist Mathematik. Wenn M die leere Menge ist, ist jede Aussage der Form "Für jedes x aus M gilt ... " richtig, weil nämlich die Negation "Es gibt ein x aus M, für das ... nicht richtig ist" offensichtlich falsch ist.

D: Das möchte ich jetzt nicht gerne weiterverfolgen. Dann fordern wir also zusätzlich für unser Vektorunterraumkriterium noch, dass die betrachtete Teilmenge nicht leer ist.

A: In den meisten Fällen ist ohnehin sofort leicht zu entscheiden, ob der Nullvektor des überdachenden Vektorraums V in der Teilmenge T liegt.

D: Also ist eine Teilmenge T eines Vektorraums V genau dann ein Untervektorraum, wenn sie abgeschlossen gegenüber den Vektorraumoperationen und nicht leer ist.

A: Genau so ist es. Noch einmal formal aufgeschrieben: Eine Menge T ist genau dann ein Untervektorraum von V (und zwar bezüglich der Vektorraumoperationen aus V), wenn folgende vier Bedingungen erfüllt sind:

  1. T ist eine Teilmenge von V,
  2. die Menge T ist nicht leer,
  3. für alle f, g aus T liegt auch f+g in T,
  4. für alle r aus R und f aus V liegt r.f in T.

D: Bitte gib mir mal eine Übungsaufgabe zur Kontrolle.

A: Abstrakt im Vektorraum oder für ein konkretes Anwendungsbeispiel?

D: Am besten erst abstrakt und dann mit einer konkreten Anwendung.

A: Ok, wir betrachten einen Vektorraum V mit zwei Teilmengen A und B, die beide den Nullvektor o enthalten und beide abgeschlossen gegenüber der Addition sind. Jedes Element von A geht durch Multiplikation mit einer positiven Zahl in ein Element von A und durch Multiplikation mit einer negativen Zahl in ein Element von B über; die analoge Eigenschaft sollen die Elemente von B haben. Wir betrachten nun die Menge T aller Elemente von V, die sich als Summe f + g darstellen lassen, wobei f aus A und g aus B ist.

D: Das erinnert mich aber jetzt sehr an unsere Überlegung mit den isotonen und antitonen Funktionen.

A: Das wird auch das Anwendungsbeispiel werden. Aber zunächst beweise doch mal allgemein, dass T ein Untervektorraum von unserem Funktionenraum F ist.

D: Na ja, die Bedingungen 1 und 2 sind ja wohl offensichtlich erfüllt. Elemente h1 und h2 aus T lassen sich nach Definition von T in der Form f1+g1 bzw. f2+g2 schreiben, wobei f1, f2 aus A und g1, g2 aus B ist. Aufgrund der Abgeschlossenheit von A und B gegenüber der Addition liegt dann f1+f2 in A und g1+g2 in B, somit liegt (f1+f2) + (g1+g2) nach Definition von T in T. Aus der Gleichungskette

h1 + h2 = (f1+g1) + (f2+g2) = (f1+f2) + (g1+g2)

folgt daher die Abgeschlossenheit von T gegenüber der Addition.

A: Dann sparen wir uns mal hier den Beweis für die Abgeschlossenheit von T gegenüber de Multiplikation mit reellen Zahlen. Du wirst ihn genauso leicht führen können wie den Nachweis von Bedingung 3.

D: Der Bezug zu den monotonen Folgen scheint mir aber doch nicht ganz zu stimmen. Denn die Nullfunktion ist doch wohl weder isoton, noch antiton, da ihr Graph weder steigt noch fällt.

A: Im Gegenteil! Sie ist - wie alle konstanten Funktionen - gleichzeitig isoton und antiton. Denn Isotonie einer Funktion f mit Argumentmenge A bedeutet doch, dass niemals für x,y aus A gleichzeitig x < y und f(x) > f(y) gilt.

D: Stimmt, das habe ich mit strenger Isotonie verwechselt. Denn da muss aus x < y ja wohl immer f(x) < f(y) für x, y aus A folgen. Aber du hast gesagt, dass die Funktionen, die sich als Summe einer isotonen und einer antitonen Funktion darstellen lassen, ein Anwendungsbeispiel seien. Sind diese Funktionen denn irgendwo besonders wichtig?

A: Sie spielen als Untervektorraum des Raums der integrierbaren Funktionen in der Integrationstheorie eine Rolle, für uns sind sie allerdings nicht mehr als ein Beispiel, mit dem wir die uns vertrauten Mengen der beschränkten, stetigen, differenzierbaren, integrierbaren usw. Funktionen und die betrachteten Folgenräume ergänzen.

D: Das sind ja nun alles Vektorräume. Du sprachst von einer Schachtelung dieser Räume?

A: Wenn A ein abgeschlossenes Intervall ist, bildet die Menge der beschränkten Funktionen einen Vektorunterraum von RA; darin geschachtelt folgen nun die Mengen der integrierbaren, der stetigen und der differenzierbaren Funktionen.

D: Um das nachzuweisen brauche ich aber doch Sätze aus der Analysis, z.B. dass jede auf einem abgeschlossenen Intervall stetige Funktion beschränkt ist und dass aus Differenzierbarkeit Stetigkeit folgt?

A: Natürlich, aber dass du die Grundlagen der Analysis kennengelernt hast, könne wir doch verwenden. Bisher hattest du da jedenfalls einen recht guten Überblick.

D: Fehlt noch die Schachtelung unserer betrachteten Folgenräume. Wie sieht es denn da aus?

A: Über den Zusammenhang der Untervektorräume von RN, die aus den beschränkten bzw. konstanten bzw. konvergenten etc. Folgen bestehen, kannst du dir ja bis zum nächsten Mal selber einen Überblick verschaffen.

Ende des neunzehnten Gesprächs über Vektoren.