Dem Vektor auf der Spur - Elftes Gespräch über Vektoren

D: Bevor du mich wieder mit Hinhaltefragen von unserem Ziel abbringst: Da ist der Sekt, das sind die Gläser zur Feier des ersten Abschlusses, - und wo sind nun die fehlenden Regeln für die Multiplikation von reellen Zahlen mit Vektoren und zum Zusammenhang von Addition und Multiplikation?

A: Du willst einen Abschluss der Vektorraumregeln, der kurz und ohne Umschweife ist? Dann hör zu, wie der Rest Schlag auf Schlag kommt:

Für einen Vektor a und reelle Zahlen r und s gilt stets: (rs).a = r(s.a),
für zwei reelle Zahlen r, s und einen Vektor a gilt stets: (r+s).a = r.a + s.a,
für eine reelle Zahl r und Vektoren a, b gilt stets: r.(a+b) = r.a + r.b und schließlich:
Für jeden Vektor a gilt 1.a = a .

D: Wenn du jetzt erwartet, dass ich erschlagen bin: Das war mir alles klar. Ich habe mir die ganz gewöhnlichen Rechenregeln für die reellen Zahlen angesehen; und da steht das alles ganz ähnlich drin. Allerdings vermisse ich die Eigenschaft, dass es zu jeder reellen Zahl außer null einen Kehrwert gibt. Existiert so eine Bedingung nicht für die Vektoren?

A: Da du zwei Vektoren nicht miteinander multiplizieren kannst, gibt es konsequenterweise auch keine Möglichkeit, eine solche Multiplikation umzukehren.

D: Aber ich habe irgendwo gelesen, dass man sehr wohl Vektoren miteinander multiplizieren kann; es gibt sogar mehrere Arten von Produkten: Skalarprodukte, Kreuzprodukte, Spatenprodukte, ...

A: Das sind alles keine grundlegenden Eigenschaften des Vektorraums, sondern zusätzliche Eigenschaften spezieller Vektorräume, so wie es keine grundlegende Eigenschaft eines Autos ist, über eine Satelliten-Navigation oder über Alu-Felgen zu verfügen. Und Spatenprodukte sind allenfalls umgegrabene Beete, was du meinst, ist das Spatprodukt.

D: Dann hast du aber noch eine Eigenschaft vergessen: Beim Goetheraum hatten wir doch auch noch festgestellt, dass die Multiplikation eines jeden Zauberquadrats mit null das Zauberquadrat aus neun Nullen, also den Nullvektor dieses Vektorraums ergibt. Also gehört doch auch noch die Bedingung 0.a=o zu den von dir aufgezählten Forderungen an die Multiplikation.

A: Nein.

D: Also gibt es Vektorräume, in denen 0.a nicht für jeden Vektor a den Nullvektor ergibt!

A: Nein.

D: Wie "nein"? Entweder ist das eine Eigenschaft des Vektorraums, dann muss es in allen Vektorräumen gelten, oder es gilt nicht in allen Vektorräumen.

A: Es gilt zwar in allen Vektorräumen, aber es muss nicht eigens gefordert werden.

D: Du meinst, weil durch Multiplikation mit null alles genullt wird, als Vektor also der Nullvektor herauskommen muss? Dann ist erst recht die Bedingung 1.a = a überflüssig, denn es ist doch klar, dass eine Multiplikation mit 1 nichts verändern kann.

A: Ich glaube, du solltest den Sekt erst einmal wieder zurück stellen; wir sind offenbar noch lange nicht an unserem Ziel, die Bedingungen für den Vektorraum komplett zu überschauen.

D: Nur weil ich dich bei unlogischem Vorgehen erwischt habe, werde ich jetzt nicht dem Schampus entsagen. Du verzichtest entweder auf die Bedingung 1.a = a, oder aber du nimmst zusätzlich die Bedingung 0.a=o auf. Und schon kann der Korken knallen, Jubel erschallt, Hüte fliegen in die Luft ...

A: Also gut, bei unwichtigen Dingen soll man großzügig sein, lassen wir also auch deine Forderung zu und fassen nun etwas kompakter als in den bisherigen Gesprächen alle Eigenschaften des Vektorraums zusammen:

Wir setzen voraus, dass in eine Menge V zwei Zuordnungen erklärt sind, eine sogenannte Addition, die je zwei Elementen von V eindeutig ein Element von V zuordnet. Und eine sogenannte Multiplikation, die jedem Paar aus einer reellen Zahl und einem Element von V eindeutig ein Element von V zuordnet.

Zusammen mit diesen beiden Verknüpfungen bezeichnet man V dann als Vektorraum, wenn die folgenden Eigenschaften vorliegen:

(1) In V gilt bezüglich der Addition das Kommutativgesetz: a + b = b + a .

(2) In V gilt bezüglich der Addition das Assoziativgesetz: a + (b + c) = (a + b) + c.

(3.1) Es gibt in V ein neutrales Element, also ein Element n, das für alle a aus V die Gleichung a + n = a erfüllt. Dieses Element ist dann eindeutig bestimmt und wird als Nullvektor bezeichnet; Der Nullvektor wird als o dargestellt.

(3.2) Zu jedem Element a von V gibt es ein Element b in V, welches die Gleichung a + b = o erfüllt. Dieser Vektor b +ist dann eindeutig bestimmt und wird als Gegenvektor von a (Schreibweise: -a) bezeichnet.

(4) Es gilt das folgende "Assoziativgesetz": (rs).a = r(s.a).

(5) Es gilt das folgende "Distributivgesetz" r.(a+b) = r.a + r.b .

(6) Es gilt das folgende "Distributivgesetz" (r+s).a = r.a + s.a .

(7) Die Multiplikation mit der reellen Zahl 1 verändert einen Vektor nicht: 1.a = a .

D: Und: Die Multiplikation von null mit einem Vektor ergibt stets den Nullvektor: 0.a = o.

A: Wenn du unbedingt willst, - und jetzt zum Wohl! Die wichtigste Etappe ist zurückgelegt. Jede Menge, die mit einer wie auch immer definierten Addition und Multiplikation die aufgeführten Eigenschaften hat, heißt Vektorraum. Und ein Objekt heißt ein Vektor, wenn es Element eines Vektorraums ist.

D: Wenn ich also will, dass der Baywatch-Raum, der allein von Pamela A. ausgefüllt wird, ein Vektorraum ist, brauche ich nur eine Addition und eine Multiplikation mit den entsprechenden Eigenschaften zu definieren, also Pam + Pam := Pam und r.Pam = Pam, - und schon ist {Pam} ein Vektorraum.

A: Allerdings einer, dessen einziges Element der Nullvektor ist. Insofern unterscheidet er sich vom Pharaoraum nur wie ein französisches von einem deutschem Kartenspiel: Das Aussehen ist anders, aber man die Spielregeln sind identisch.

D: Das war heute ein guter Tag: Ich habe alles verstanden und obendrein noch einen wichtigen Beitrag geleistet, indem ich verhindert habe, dass wir bei den Bedingungen die Forderung 0.a = o vergessen haben. Das wäre doch bei verspäteter Feststellung ganz schön peinlich für dich geworden. Was hättest du eigentlich gemacht, wenn wir diese Eigenschaft des Vektorraums jetzt nicht gefordert, aber später gebraucht hätten?

A: Wir hätten bewiesen, dass diese Eigenschaft in jedem Vektorraum gilt.

D: Nein, ich meine, wenn wir nur die Eigenschaften (1) bis (7) hätten benutzen dürfen.

A: Wie gesagt: Wir hätten die von dir hervorgehobene Regel bewiesen. Sie folgt nämlich aus den anderen Vektorraumeigenschaften.

D: Wenn das stimmt, ist es nicht fair, aber ich glaube es nicht. Wie soll man denn beweisen, dass 0.a = o für jeden Vektor a eines Vektorraums gilt?

A: Denk nach! Und wenn du es herausgefunden hast, reden wir weiter.

Ende des elften Gesprächs über Vektoren.